Volker Müller(1942-2021) von Rainer Nonnenmann - Erstveröffentlichung im KSTA vom 4.3.2021

 

 
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 WDR Archiv

 

MEISTER DES GERÄTEPARCOURS

von Rainer Nonnenmann

 Von Stockhausen bis Marco Stroppa: Volker Müller stand Musikschaffenden aus der ganzen Welt bei der Arbeit zur Seite – Zum Tod des langjährigen technischen Leiters des WDR-Studios für elektronische Musik.

 

Der weltweite Ruf des Studios für elektronische Musik des WDR verdankt sich dem kreativen Zusammenwirken erfinderischer Komponisten und experimentierfreudiger Techniker. Gemeinsam wurde die verfügbare Mess- und Sendetechnik des Reproduktionsmediums Rundfunk zu einem neuen Produktionsinstrument umfunktioniert.

1953 konnte man erste elektronisch generierte Stücke bei einem „Lautsprecher-Konzert“ und im Radio präsentieren. Viele zeitgenössische Hörerinnen und Hörer reagierten entsetzt und verteufelten die Elaborate aus dieser Hexenküche als „seelenlose Technik“, „Atomspaltung“, „Tod der Musik“. Andere dagegen waren von diesem revolutionären Neuansatz fasziniert.

 

MIT IHM WURDE DAS KÖLNER STUDIO ZU EINEM WELTWEITEN MAGNETEN


Binnen weniger Jahre entwickelte sich das Kölner Studio zu einem weltweiten Magneten für Musikschaffende aus der halben Welt. Um ihre Vorstellungen zu realisieren, brauchten sie die Hilfe der Ingenieure. Wie niemand sonst kannten die Techniker die Funktionen, Kombinationsmöglichkeiten und Grenzen der Sinus-, Impuls-, Sägezahn und Rauschgeneratoren, Filter, Bandmaschinen und Hallplatten.

Nach der „heroischen“ Gründerphase unter den künstlerischen Leitern Herbert Eimert und Karlheinz Stockhausen wurde 1971 Volker Müller als 1. Programm-Ingenieur angestellt. Bis zu seiner Pensionierung 2007 war er an den meisten Produktionen des Studios beteiligt. Im Internet ist er auf vielen Videos zu sehen, wie er lebhaft und anschaulich Auskunft gibt über Geräte, Synthesizer, Mischpulte, Sampler, Vocoder sowie digitalen Prototypen der 1980er und 90er Jahre. Wenige Wochen vor seinem 79. Geburtstag ist Volker Müller am 16. Februar gestorben.

Noch nach seinem Ruhestand wartete er als freier Mitarbeiter den Geräteparcours. Gerne und ausgiebig zeigte er dieses erstrangige Kulturgut internationalen Fachbesuchern aus Komposition, Musikwissenschaft, Noise, Techno, Electronica, Krautrock und ganzen Hochschulseminaren. Alle wurden freundlich mit Kaffee und süßen Teilchen empfangen und von Müllers Begeisterung angesteckt. Wie sehr der rüstige Rentner mit der analogen Tonbandtechnik verwachsen war, zeigte sein Geschick beim Einlegen, Schneiden, Kleben und Führen von Bändern über Maschinen, Teller, Tonköpfe, Schleifen. Gerne demonstrierte er, wie sich neue Klänge aus zufälligen Radioschnipseln generieren ließen, ebenso einfach wie auf hundertstel Sekunden genau, durch Oktavieren, Loopen, Überlagern, Filtern, Verlangsamen, Beschleunigen, Rückwärtslauf etc.

 

FÜR STOCKHAUSEN REALISIERTE ER "SIRIUS" UND DESSEN OPERN 


Während 30 Jahren stand Volker Müller namhaften Musikschaffenden bei deren Arbeit im Studio zur Seite, allen voran Stockhausen. Nach „Sirius“ von 1976 realisierte er auch die Elektronik von dessen Opern „Montag“, „Freitag“ und „Mittwoch“. Rechte Hand war er auch für York Höller, der die künstlerische Leitung des Studios 1990 übernahm und hier die Elektronik zu seinen großen Orchesterwerken „Schwarze Halbinseln“ und „Pensées“ produzierte. Ferner zu nennen sind Henri Pousseur, Luc Ferrari, Peter Eötvös, John McGuire, Jonathan Harvey, Youngi Pagh-Paan und Ende der 1990er Jahre Marco Stroppa, Paulo Chagas und Kilian Schwoon.

Welchen mitschöpferischen Anteil der Ingenieur bei der Entstehung all dieser Kompositionen hatte, ist kaum zu ermessen, auch wenn er sich selbst immer professionell und bescheiden als Techniker bezeichnete.

Nachdem das Studio bereits innerhalb des Funkhauses zweimal hatte umziehen müssen, wurde es 1986 in die Annostraße in der Kölner Südstadt verlegt. Erneut mussten die vielen hunderte Geräte abgebaut werden, als der WDR den Betrieb Ende 2000 einstellte und die Ausrüstung in einen Kellerraum in Köln-Ossendorf auslagerte.

Dem Einsatz von Volker Müller ist es zu verdanken, dass das über fünf Jahrzehnte gewachsene und weithin einzigartige Ensemble an Audiotechnik damals nicht verkauft oder verschrottet, sondern wieder funktionsfähig aufgebaut und zur Digitalisierung analoger Tonbänder genutzt wurde.

Bis zuletzt hat er sich um Wartung, Dokumentation, Archivierung und Schaltpläne gekümmert, um das Studio dereinst wieder aktiver Nutzung zuführen zu können. Noch jüngst war er bei einer Präsentation des Studios auf Google Arts & Culture beteiligt, die dort demnächst zu sehen ist.

 

ALLE PLÄNE ZUR REVITALISIERUNG DES STUDIOS SCHEITERN 


Seit 20 Jahren scheitern jedoch alle Pläne zu einer Revitalisierung: im Museum für Angewandte Kunst, im Mediapark 5, in der Hochschule für Musik und Tanz, im Haus Mödrath bei Kerpen und jüngst im denkmalgeschützten ehemaligen Sendegebäude der Westdeutschen Rundfunk AG von 1927 in Köln-Raderthal, das der Stadt Köln gehört, deren Liegenschaftsamt sich jedoch außer Stande sah, das Nutzungsrecht für eine Beherbergung des Studios abzuändern.

Ziel ist keine Museumsausstellung, sondern der lebendige Betrieb des Studios mit Workshops, Künstlerresidenzen, Aufführungen, Forschungs- und Vermittlungsprojekten. Angesichts global standardisierter Software interessieren sich immer mehr Musikschaffende für die alten Technologien.

Aktuell erarbeiten Stadt Köln, WDR und Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW einen Träger-, Funktions- und Wirtschaftsplan zur Unterbringung und Nutzung des Studios im Rahmen der baulichen Erweiterungen des Zentrums für Alte Musik auf dem Helios-Gelände in Ehrenfeld. Die vielleicht doch noch kommende Renaissance des Studios wird Volker Müller nicht mehr erleben.